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Sucht oder Abhängigkeit kann als seelischer oder körperlicher Zustand definiert werden, der dadurch charakterisiert ist, dass ein Mensch trotz spürbarer psychischer, körperlicher oder sozialer Nachteile ein unabweisbares Verlangen nach einer bestimmten Substanz oder einem bestimmten Verhalten empfindet. Je nach Ausprägung der Sucht werden diesem Verlangen und seiner Befriedigung alle anderen Lebensbereiche untergeordnet. Das zentrale Kennzeichen einer ernsthaften Abhängigkeit ist das suchtgesteuerte Verhalten, das die betroffene Person auch dann ausübt, wenn sie dies eigentlich nicht möchte, um die negativen Folgen weiß und diese sogar fürchtet. Dabei kann sich Sucht auf Stoffe wie etwa Alkohol, Nikotin oder Medikamente beziehen, aber auch nicht stoffgebunden sein, wie etwa bei Spiel-, Kauf- oder Mediensucht.
In der Suchtverursachung werden drei Faktoren als zentral angesehen: zuerst der Gegenstand der Sucht. Wie ist er verfügbar? Wo kann man ihn bekommen? Wie kompatibel ist die Sucht im sozialen Umfeld? Wie hoch ist die Suchtpotenz? Und wie stark die Wirkung? Dann das Individuum in seiner Persönlichkeit. Wie hoch ist dessen Frusttoleranz? Hat es erlerntes Fehlverhalten oder eine neurotische Entwicklung hinter sich? Liegen genetische Faktoren vor? Und an dritter Stelle schließlich das soziale Umfeld. Hierbei werden Aspekte diskutiert wie ein unglückliches Zuhause, ungünstige Vorbilder, eine fehlerhafte Erziehung. Aber auch Gruppenzwänge, ein Freizeitvakuum, eine chronische Konfliktsituation oder eine Ideologie können die Entwicklung einer stoff- oder nicht-stoffgebundenen Sucht hervorrufen. Als Therapieziel wird in der Regel das Erreichen einer vollständigen Abstinenz gesehen. Sekundär bezweckt man die Rückfallprophylaxe, das Stabilisieren der Persönlichkeit und die psychosoziale Rehabilitation.
Von den heute bekannten Süchten waren einige schon in den Zeiten der ayurvedischen Klassiker bekannt. Insbesondere der Alkoholismus ist in allen Klassikern ausführlich dargestellt. Zudem ist eine Gruppe von Kräutern bekannt, die als Intoxikation-induzierend (madakarı) und damit Sucht-provozierend beschrieben sind. Dies trifft etwa auf Schlafmohn oder Hanf zu.
Für Suchterkrankungen ist es typisch, dass Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden, die auch für den Betroffenen erkennbar schädlich sind, aber dennoch wider besseren Wissens durchgeführt werden. Ein Handeln wider besseren Wissens gehört aus ayurvedischer Sicht zu den drei Hauptursachen für körperliche wie geistige Erkrankungen. Es wird prajña-para-dha genannt. Es kommt dazu durch Mangel an dhı (Intellekt), dhrti (Beständigkeit) oder smrti (Gedächtnis). Eine schwache Persönlichkeit ist aus ayurvedischer Sicht eher gefährdet.
Die Droge erreicht über das Blut das Herz, das als Sitz der klaren Flüssigkeiten im Körper, der dosas, des Geistes, des Intellekts, der Sinne, der Seele und des zentralen Immunsystems verstanden wird. Durch ihre gegensätzlichen Eigenschaften greift die Substanz das Immunsystem an und verwirrt den Geist. Bei einer chronischen Störung kommt es zu Verlust an Widerstandskraft und Geweben.
Ein bestimmtes Verhalten sorgt für ka-ma, den Wunsch, das durch das Verhalten hervorgerufene Gefühl wieder und wieder zu erlangen. Ist das nicht möglich, entsteht krodha, die Wut. Wunsch und Wut bestimmen das Denken und Handeln des Patienten so sehr, dass die lebenserhaltenden Verhaltensweisen wie Essen und Schlafen sowie die soziale Kompetenz beeinträchtigt werden. Auch hier kommt es bei chronischer Störung zu Verlust an Widerstandskraft und Geweben. In den klassischen Schriften werden verschiedene Formen, Stadien und Komplikationsverläufe von Süchten beschrieben.
Sucht ist ein vielgestaltiges Phänomen. Den unterschiedlichen Formen, die eine Sucht annehmen kann, ist gemeinsam, dass der betroffene Mensch wider besseren Wissens die suchtbezogene Substanz immer wieder nutzt oder suchtbezogene Handlungen immer wieder durchführt. Im Ayurveda wird dieses Verhalten als prajña-para-dha eingestuft (wörtlich in etwa: „Versagen der Intelligenz“), was per se zu Erkrankungen führt.
Yoga ist ein System, das dem Übenden hilft, sich selbst stärker zu spüren und den echten eigenen Willen, nicht die durch Sucht entstandene Begierde, erkennen und umzusetzen zu können. Ein allgemeines Yoga-Übungsprogramm ist daher – Zustimmung und Bereitschaft des Suchterkrankten vorausgesetzt – grundsätzlich geeignet, in der Suchttherapie Einsatz zu finden. Multiple Studien geben Hinweise, die die Wirksamkeit von Yoga in der Therapie von Suchterkrankungen nahelegen.