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Wechselzeiten sind immer schwierige Zeiten, in denen die Betroffenen und ihre Umgebung mit einer großen Veränderung in Körper und Geist umzugehen lernen. Anders als in der Schulmedizin werden im Ᾱyurveda diese Zeiten energetisch verstanden.
Die āyurvedische Medizin interessiert primär die Frage nach den Prinzipien, die alles Funktionieren im Menschen auf körperlicher, emotionaler und mentaler Ebene regulieren. Der Funktion folgt am Ende die Struktur, so[1]dass letztere nicht im Zentrum der āyurvedischen Aufmerksamkeit steht.
Diese funktionsregulierenden Energien sind die doṣas vāta, der zuständig ist für alle Bewegung, Taktung und Kontrollfunktionen, pitta, das für Umwandlung sorgt, und kapha, der zu Stabilität, Kühlung und Masse führt. Diese doṣas sind in jedem Lebewesen vorhanden und liegen im Gesundheitszustand im individuellen Gleichgewicht vor.
Da eine Vertiefung der Grundlagen des Ᾱyurveda den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, verweise ich diesbezüglich auf die weiterführende Literatur [1 – 4].
Das Leben wird im Ᾱyurveda klassisch in drei große Phasen aufgeteilt. Diese sind die Kindheit, das jüngere Erwachsenenalter und das reife Alter. In jeder Lebensphase ist einer der drei doṣas für die speziellen Aufgaben und Entwicklungen zuständig, die dieser Zeit entsprechen. Das bedeutet, dass der Mensch in dieser Phase besonders stark von dem jeweiligen doṣa beeinflusst wird. Die Charakteristika dieses doṣas bestimmen typische Eigenschaften des Individuums in diesem Lebensabschnitt.
Die erste Lebensphase ist die Kindheit. In dieser Zeit sind alle Gewebe noch unreif und die Kraft in Körper und Geist daher nicht voll entwickelt. Das Kind ist mit dem Aufbau und der Entwicklung auf allen Ebenen beschäftigt. Dies kann unter dem Einfluss des doṣa kapha geschehen.
Diese Zeit wird geprägt von der Umwandlung. Die Frau setzt ihr Wissen ein, sie arbeitet, bekommt vielleicht Kinder und zieht diese groß, verwirklicht die eigenen Vorstellungen und ist damit ein aktives Mitglied der Gesellschaft. Das ist durch die Dominanz des doṣa pitta möglich.
Die Lebenszeit ab ca. 50 Jahren wird reifes Alter genannt. Es ist erkennbar an dem Klimakterium und der Menopause. Dies ist die Zeit der Freiheit. Die Frau hat ihre Aufgaben gegenüber der Gesellschaft erfüllt und kann sich auf sich selbst und ihre Ziele und Wünsche jenseits der Nützlichkeit konzentrieren. Jetzt nimmt pitta wieder ab und vāta langsam immer weiter zu.
Zweimal im Leben finden Wechselzeiten der doṣas statt:
Im Übergang von der kapha- zur pitta-dominanten Phase: Diese Zeit kennen wir als Pubertät. Das Mädchen wird zur Frau mit allen Fähigkeiten, die eine Frau hat.
Im Übergang von der pitta- zur vāta-dominanten Phase: Diese Zeit nennen wir die Wechseljahre. Die erwachsene Frau verabschiedet sich aus der Phase der Verantwortung für die Gesellschaft und tritt ein in die Phase der Freiheit.
Aus āyurvedischer Sicht sind die Wechselzeiten wichtige Episoden im Leben der Frau. Sie geben ihr das Rüstzeug für die nächste Phase. Ein ruckartiger Übergang würde die Frauen plötzlich in eine neue Aufgabe und Funktion werfen und sie damit überlasten. In den Übergangsphasen können sie sich langsam wandeln. Das wird analog gesehen wie bei den Raupen, die sich langsam zum Schmetterling entwickeln.
Die Phasen der Umstellung der doṣa-Dominanz werden typischerweise als instabile und schwierige Zeiten erlebt. Oft sind Zeichen beider doṣas vermehrt, das Verdauungsfeuer (agni) ist dann instabil und neigt zu Schlacken-Bildung. Die doṣas nehmen nicht einfach langsam zu und ab, sondern treten miteinander in Wechselwirkung und können sich leicht reizen.
Aus āyurvedischer Sicht spricht das Auftreten von Symptomen wie emotionaler Instabilität, Hautveränderungen, Figurveränderungen oder Veränderungen der Körpertemperatur dafür, dass die Wechselzeit da ist. Dem Ᾱyurveda ist die klinische Diagnose ausreichend. Eine Hormonbestimmung braucht man aus seiner Sicht nicht, weil die Eigenschaften der doṣas sich in den Symptomen hinreichend klar zeigen. Nach ein paar Monaten oder wenigen Jahren sollte sich das System an die neue doṣa-Dominanz gewöhnt haben und erneut in ein stabiles Funktionieren kommen.
Finden die Übergänge der Wechselzeiten zur falschen Zeit, mit zu stark oder zu lange ausgeprägten Symptomen statt, deutet das auf eine Störung der doṣas hin.
Wenn zum Beispiel eine Frau schon Mitte der dreißiger Jahre die Menopause erreicht, zeigt das eine Übererregung des doṣas vāta in ihrem Leben. Wird dieser ausgeglichen, kann die Monatsblutung, ein Zeichen von pitta, auch wieder einsetzen.
In der Pubertät kann der Wechsel von kapha auf pitta zu Unsauberkeiten der Haut mit Akne, zu Periodenschmerzen, zu einer Gewichtszunahme und zu Ausbrüchen emotionaler Hitzigkeit führen. Die Stabilität der Kindheit, in der die Lebensprinzipien und Grundsätze der Eltern als gegeben hingenommen wurden, weichen der Unsicherheit darüber, wie man selbst leben möchte, wo der eigene Platz im Leben ist und wie man sich mit der Imperfektion der Welt arrangiert.
Ursachen von Beschwerden in der Pubertät
Da die Pubertät die erste Wechselzeit ist, die eine Frau bewusst erlebt, kann sie in dieser Phase noch auf keine Erfahrung und Überwindungsstrategien zurückgreifen. Alle Veränderungen sind neu und etwas unheimlich. Das Mädchen identifiziert sich nicht zwangsläufig mit dem sich verändernden Körper oder es fühlt sich umgekehrt in der Kinderrolle, die die Umgebung ihr noch zudenkt, nicht mehr wohl. Neue Wünsche und andere Interessen kommen auf. Auch ihre Umgebung verändert sich, Freundinnen verhalten sich anders, Jungen reagieren anders.
Jedes Entwickeln einer neuen Lebensform steigert zunächst den doṣa vāta. Der treibt dann die anderen doṣas an. Manchmal kommt es in dieser Phase noch zu Instabilitäten von weiterer Seite wie Veränderungen im Beziehungsgefüge der Familie, Umzüge, Trennungen oder schulischer Unsicherheit. In so einem Fall wird der vāta-Einfluss verstärkt und die Symptome werden heftiger, plötzlicher und oft schmerzhafter. Durch pitta-Reize wie Konkurrenzdruck oder sehr intensive Wünsche kann die Hitzigkeit mehr werden. Die Pickel können entzündlicher werden, Nasenbluten vermehrt auftreten oder eine Neigung zu Wut und Aggressivität sich entwickeln. Vorwürfe, bissige Auseinandersetzungen mit den Eltern und Freunden oder ein innerer Rückzug, der versucht, die Wut nicht nach außen zu leiten, können die Folge sein. Durch kapha kommt es eher zu Schwere, Schwellung oder auch zu Weltschmerz.
Therapie von Beschwerden in der Pubertät
Ganz einfache Dinge können einer Jugendlichen helfen, diese Phase gut zu überstehen. Das beginnt mit der Rhythmisierung des Tages. Das bedeutet, dass es zuverlässige Zeiten für alles geben sollte. Zunächst vor allem genug Zeit zum Schlafen. Das sollte man allerdings nicht am Tag tun, weil das kapha reizen kann und den Stoffwechsel (agni) schwächt, sondern in der Nacht. Verlässliche Schlafenszeiten in der Nacht sind daher indiziert. Regelmäßige Pausen und Rückzugsmöglichkeiten sind wichtig. Die Jugendliche sollte den Tag und die Woche etwas strukturieren. Mit Schule, Zeit für Lernen und andere Aufgaben, Zeit zum Ruhen, Zeit für Kommunikation, Musisches oder Spirituelles, Zeit für Bewegung und Sport. Dabei darf es mehr arbeitsbezogene Zeiten und mehr freizeitbetonte Zeiten geben.
Ganz zentral ist dabei, dass das Mädchen diese Tages- und Wochenstruktur zunehmend selbst entwickelt. Die Pubertät ist dafür da, die eigene Lebensweise zu finden. Die Eltern sollten idealerweise schützend und beratend zur Seite stehen, aber die eigenen Vorstellungen immer weiter zurücknehmen und das Mädchen unter dem Dach der Familie sich ausprobieren lassen, solange das nicht selbst gefährdend ist.
Essen bei Hunger ist wichtig. Isst man ohne Hunger, kommt es gerne zur Bildung von Stoffwechselschlacken (āma). Isst man bei Hunger nicht oder nicht hinreichend, dann kann vāta gereizt werden. Warmes Essen, vielseitige Lebensmittel, die möglichst frisch und vital sind, gute Gewürze und hinreichend warme Getränke unterstützen den Körper bei der Entwicklung. Lebensmittel, die in ihren Eigenschaften schleimig, kalt, schwer oder reizend sind, sollten vermieden werden, um Stoffwechselschlacken (āma) zu verhindern bzw. wenn bereits vorhanden, zu verbrennen.
Yoga ist ein Verfahren, dass gut die āyurvedische Therapie unterstützen kann. Durch körperliche Übungen, Atemübungen und entspannende Techniken kann das doṣa-System ausgeglichen werden und eine einseitige Reizung im Alltag vermieden bzw. kompensiert werden. Dabei ist es wichtig, dass man Yoga regelmäßig übt. Nicht nur als eine Art Gymnastik zur Fitness, sondern in der Achtsamkeit und dem Respekt, den man sich selbst gegenüber wünscht. Neben dem Ausgleich der doṣas führt ein solches sich selbst wertschätzendes Üben, zu einer Änderung des Umgangs mit sich und automatisch dadurch auch zu einer Änderung der Reaktion der reflektierenden Umgebung auf die Person.
In den Wechseljahren zeigt sich dieses Ungleichgewicht der doṣas durch eine neue Dünnhäutigkeit und Verletzbarkeit, Abnahme der Kraft und Schlafstörungen auf der einen Seite, aber Hitzewallungen und Gefühlsausbrüche auf der anderen. Auch hier muss sich die Selbstwahrnehmung verändern. Von der Frau, die alles organisiert, allen hilft, für alles Verantwortung übernimmt und sich flexibel allem anpasst hin zur Frau, die selbst nicht immer in der Kraft ist, die länger für immer kleinere Aufgaben braucht, empfindlicher auf Impulse reagiert und sich nicht mehr so leicht verbiegen kann – und will!
Ursachen von Wechseljahresbeschwerden
Auch Wechseljahresbeschwerden können von allen Aspekten des Lebens beeinflusst werden. Zunächst spielt die natürliche Konstitution der betroffenen Frau eine Rolle. Je stabiler und ausgeglichener diese ist, desto weniger wird sie von Wechseljahresbeschwerden heimgesucht.
Der nächste wichtige Ursachenkomplex liegt im Alltag. Kann die Frau im Alltag nicht aus dem pitta-Rhythmus heraus, etwa, weil sie einen stressigen und verantwortungsschweren Job hat, weil sie noch kleine Kinder hat oder ihre Eltern versorgt, dann wird der Wechsel erschwert. Auch in der Partnerschaft können in dieser Phase Schräglagen, die jahrelang einfach hingenommen werden, zur Überlastung führen, die eine Veränderung verlangen.
Auch die emotionale Akzeptanz kann bei der Entstehung der Wechseljahresbeschwerden eine Rolle spielen. Je weniger die Frau bereit ist, ihr bekanntes Rollenmuster zu verwandeln, desto schwerer werden für sie die Wechseljahre und desto heftiger an Wechseljahressymptomen leiden. Natürlich spielen Ernährung, Erlebnisse und Schlaf weiter eine zentrale Rolle.
Therapie von Wechseljahresbeschwerden
Wie im oberen Abschnitt beschrieben, können die Beschwerden der Wechseljahre durch alle drei doṣas verursacht werden, v. a. aber durch die sich in der Dominanz wechselnden doṣas vāta und pitta. Dabei sind diese häufig beide gestört.
Im Ᾱyurveda gehen wir stets nach der gleichen Systematik therapeutisch vor. Zunächst versuchen wir, die Ursachen der Störung der doṣas zu erkennen. Diese liegen meist im Alltag der Patientinnen: häufig sind die Frauen überlastet, haben pubertierende Kinder, die das pitta der Mütter durch ihr aufflammendes pitta reizen. Oft wird auf zu vielen Ebenen zu viel von sich verlangt: der Pflicht gegenüber den Kindern, den Eltern, dem Mann, der Arbeit, den Freunden und den Hobbies kann nicht mehr genügt werden. Vielfach ist die Ernährung zu kalt, zu viel und zu schwer verdaulich, um nur einige Beispiele zu nennen.
Der erste Therapieschritt ist daher stets die Beratung zu Ernährung und Lebensstil, die die Ursachen herausfiltriert und verhindert. Erfahrungsgemäß reicht vielfach auch schon eine Erklärung über die Entwicklung der Energetik und wie das tägliche Leben darauf einwirkt, dafür, dass die Frauen selbst in der Lage sind, die auslösenden Verhaltens- und Ernährungsmuster zu identifizieren und langsam zu vermindern.
Der zweite Schritt der Therapie ist das Beruhigen der erregten doṣas und die Stärkung der Frau. Dafür werden, je nach Überwiegen der doṣas, vāta- und pitta-beruhigende Kräuter eingesetzt. Diese sollten so ausgewählt werden, dass sie gleichzeitig die Frau in dieser Phase stützen und stärken. Ideal sind Pflanzen, die gleichzeitig eine stabilisierende Wirkung im Sinne der Rejuventation haben. Im allgemeinen Handel vorhandene Pflanzen wie Rose, Safran oder Dill werden gerne eingesetzt. Auch spezielle āyurvedische Pflanzen werden gerne verschieben. Abhängig von der Symptomatik, dem Alter und der Konstitution der Patientin und dem Zustand vom Verdauungsfeuer, agni, und der Widerstandskraft werden die Heilkräuter ausgesucht und zusammengestellt.
Der dritte Schritt der Therapie ist die Reinigungstherapie. Diese wird eingesetzt, um die veränderten doṣas auszuleiten. Abhängig wieder von den betroffenen doṣas, der Konstitution und Stärke der Frau im Vergleich zu den doṣas werden die klassisch beschriebenen Reinigungsschritte unter täglicher Beobachtung des Fortschrittes durchgeführt. In den meisten Fällen sind das Abführen und die Einläufe indiziert, die auch durch die Vagina eingesetzt werden können.
Das Leben eines jeden Menschen durchläuft verschiedene Phasen. Diese werden unterstützt und eingeleitet durch die Dominanz jeweils eines doṣas. Zeiten des Wechsels der doṣas-Dominanz treten zweimal im Leben auf: in der Pubertät und in den Wechseljahren. Eine gewisse Instabilität ist in diesen Phasen physiologisch. Treten diese Phasen zum falschen Zeitpunkt, über eine zu lange Zeitspanne oder mit belastenden Symptomen auf, zeugt dies von einer doṣa-Dysbalance. Diese kann mit āyurvedischen Mitteln sanft und gründlich behandelt werden.
Literatur
[1] Gupta H. Einführung in den Ᾱyurveda. Verlag für Vedische Wissenschaften, 2. Auflage, 2017
[2] Gupta H. Ᾱyurveda für Frauen. Verlag für Vedische Wissenschaften, 2020
[3] Rhyner H. Ayurveda – Basislehrbuch. Urban und Fischer, 2003
[4] Gupta H. Ᾱyurveda vijñāna, Bd 1 bis 5. Verlag für Vedische Wissenschaften, 2017 – 2022